Wir alle kennen es zu genüge, ständig ist man aufgefordert, zu kommunizieren, seit Social Media weit mehr, als zuvor. Aber nicht nur online werden wir gezwungen, permanent das Sprachzentrum zu aktivieren, auch offline scheint die Welt um uns herum von erregtem Mitteilungsbedarf zu sein. Heerscharen von gefüllten Sprechblasen zerplatzen vor einem und nur selten kann man ihnen ausweichen. Manche sind allerdings erwünscht, ein freundliches Wort z.B. oder eine nette Geschichte, die einem den Alltag erhellt. Aber überwiegend, so kommt es mir jedenfalls vor, wird einfach nur gesprochen, um des Sprechens willen. „Ich muss sprechen, sonst verlerne ich es!“ oder „wenn ich jetzt eine Redepause mache, dann kommen die bösen Pausenclowns und ziehen mir an den Ohren!“, könnte man meinen, geistert durch die Köpfe der Menschen, die unter Sprechzwang leiden.
Sie reden und reden und reden – und 90% dessen, was sie von sich geben, hat weder Unterhaltung- noch Informationswert, als würde in ihrem Kopf ein Wortgenerator laufen, der unentwegt Sätze erfindet. Trifft dieser Wortgenerator dann auf eine unkontrollierbare Sprechmotorik, ist das Malheur passiert – einem Brechanfall gleich, sprudelt es aus diesen getriebenen Menschen heraus und wer sich zufällig in ihrem Empfangsbereich befindet, wird verbal besudelt.
Die Krönung dieser anstrengenden Menschen sind die Leute mit Witz-Zwang. Nicht nur, dass sie generell zu allem ihren Senf abgeben müssen, es muss obendrein witzig sein! Nicht selten wird ein und derselbe Witz bei jeder sich bietenden Gelegenheit wiederholt, wobei sich diese Menschen sehr genau merken, wem gegenüber sie diesen oder jenen Witz bereits geäußert haben und wer von ihnen noch nicht beglückt worden ist. Keine Frage, eine anzuerkennende Geistesleistung!
Aber Sprechzwängler sind ja auch nicht per se dumme Menschen, sie können halt nur nicht unterscheiden, zwischen wertvollen und nicht wertvollen Informationen. Für sie hat alles Mitteilungswert, selbst wenn es ein Monolog über den morgendlichen Darmauswurf ist.
Nun bin ich als Norddeutscher natürlich besonders empfindlich, was Sprechen angeht. Wir Nordlichter reden nicht gerne und wenn, dann bemühen wir uns, vorher abzuwägen. In unserem Kopf befinden wir uns immer auch zu einem Teil im Empfangsmodul des Gegenübers und dann entscheiden wir im Bruchteil einer Sekunde, ob wir das, was uns gerade durch den Kopf sabbelt, unserem Vis a Vis antun wollen, oder nicht. Ok, es gibt auch Ausnahmen. So ist ein mir bekannter Witz-Zwängler Norddeutscher.
Krass wird es für mich, wenn ich in den Süden Deutschlands fahre, oder in den Südwesten. Kaum angekommen, wird man überschüttet mit Wörtern und Sätzen, so viele, dass man kaum die Möglichkeit hat, das Verwertbare von dem Nichtverwertbaren zu trennen. Die Folgen sind am Abend Kopfschmerzen und der Wunsch, sich zu betrinken, um zu vergessen.
Da lobe ich mir als Klarträumer die Traumfiguren. Denen muss man zwar alles aus der Nase ziehen, aber dafür halten sie ansonsten einfach die Klappe, es sei denn, sie haben etwas wirklich Wichtiges zu sagen. Vielleicht geht das aber auch nur den norddeutschen Klarträumern so, denn auch die Traumfiguren sind Erfindungen unseres Unterbewusstseins und verschwiegene Gemüter lassen aller Wahrscheinlichkeit ihre Traumprotagonisten ebenfalls wenig sprechen.
Am besten ist immer die Frage, „hast du was, geht es dir gut?“. Eine meiner Standardantworten lautet dann „nein, ich genieße einfach nur die Stille“. Einmal kam zur Antwort „ja, es ist wirklich herrlich still“ – Pause – „wirklich sehr still, man hört sogar das Rauschen der Blätter“ – Pause – „Wenn es doch öfter so still wäre!“
Wäre es, wenn da der Sprechzwang nicht wäre.