Ich erzähle die Geschichte vom Sein
Es begann mit der Vollkommenheit, der Liebe. Das Sein war nichts anderes, als bedingungslose Liebe. Dann wurde sich die Liebe ihrer selbst gewahr, sie teilte sich. Das Sein bestand von nun an aus zwei Teilen, der Liebe und dem Gewahrsein. Dann teilten sich diese beiden erneut. Die Liebe teilte sich in Liebe auf der einen Seite und dem Gegenteil von Liebe auf der anderen und das Gewahrsein wiederum in Gewahrsein und dem Gegenteil von Gewahrsein. Von nun an bestand das Sein aus vier Teilen. Liebe, Hass, Gewahrsein und Nicht-Gewahrsein. Doch damit nicht genug. Diese vier Teile teilten sich noch einmal. Die Liebe teilte sich in die Liebe zu sich selbst und die Liebe zu anderen. Der Hass in Selbsthass und den Hass auf andere. Das Gewahrsein in höheres Gewahrsein und niedrigeres und das Nichtgewahrsein in vorübergehendes und dauerhaftes.
Dann fing das Sein an, die einzelnen Teile miteinander zu kombinieren. Das war kein Problem, denn alle waren ja Aspekte des ursprünglichen Seins. Jetzt waren zwar schon ziemlich komplexe Dinge möglich, wie, sich der Liebe oder dem Hass gewahr werden, oder zu Lieben und zu Hassen, ohne sich dessen gewahr zu sein. Und auch vorübergehende und dauerhafte Liebe waren von nun an möglich. Aber dem Sein war das nicht genug. Es teilte die beiden Geschwister Liebe und Hass in unzählige Zwischenstufen und nannte sie Gefühle. Es teilte die Geschwister Gewahrsein und Nicht-Gewahrsein ebenfalls in unzählige Zwischenstufen und nannte sie Bewusstsein.
Dann fing Alles an, sich mit Allem zu Paaren und das Sein verlor den Überblick – ihm wurde schwindelig von all den Möglichkeiten. Es wollte wieder Eins werden, so wie es einmal war und versuchte sich daran zu erinnern, wie alles begann. Aber es konnte sich nicht mehr genau erinnern, weil Teile seines Seins zu unbewusstem Sein geworden waren. Dann versuchte es, die Liebe zu fühlen, denn es erinnerte sich, dass damit alles anfing. Aber Teile der Liebe waren zu Angst und Hass geworden und so war es ihm nicht mehr möglich, sich an das Gefühl der puren, bedingungslosen Liebe zu erinnern.
Es musste etwas tun. Es wollte wieder Lieben, wie einst und überlegte, wie es das anstellen kann? Womit soll es anfangen, es war alles so kompliziert geworden? Es sendete einen Hilferuf hinaus und bat um Erkenntnis.
Als erstes meldeten sich die Gefühle und sagten, das es alles fühlen müsse, was fühlbar sei, dann fühle es auch wieder die Liebe. Das Bewusstsein intervenierte und sagte, dass es ja wohl klar sei, dass alles eine Frage des Bewusstsein ist und dass nur das Gewahrwerden der Liebe am Ende zur bedingungslosen Liebe führen könne. Da meldete sich der Hass. Blödsinn. Ich, als der Zwilling der Liebe, kann als Einziger sagen, wie es gemacht werden muss. Du musst so stark Hassen, dass der Hass sich irgendwann selbst nicht mehr erträgt und zu Liebe wird.
Gerade wollte das Unbewusste einen Vorschlag machen, wobei es sich zunächst beschwerte, dass es nie gehört werde, da steckte sich das Sein die Finger in beide Ohren und verfiel in eine tiefe Depression. Seht ihr, fühlte sich das Unbewusste bestätigt, da haben wir’s wieder. Alle kommen zu Wort, nur ich nicht.
Es trat eine bedrückende Stille ein.
Die Liebe machte dem Hass Vorwürfe, dass alles seine Schuld sei und das Bewusstsein gab die Schuld dem Unbewussten. Schon bald stritten sich alle miteinander und jeder gab dem Anderen die Schuld.
Da kam ein Käfer vorbei. Ein kleiner, roter Käfer mit schwarzen Pünktchen auf dem Rücken. Hallo, sagte der Käfer leise zu dem sich streitenden Knäul. Aber niemand hörte, sie waren zu sehr mit Streiten beschäftigt. HALLO!! rief er lauter und alle hielten inne. Wer bist du denn? Fragte das Bewusstsein. Ein Käfer. Einer nach dem anderen wandte sich dem kleinen Wesen zu und stellte sich ihm vor. Jeder betonte, dass er besonders wichtig sei und das Sein ohne ihn nicht existieren könne. Gerade wollten sie wieder anfangen zu Streiten, da sagte der Käfer:
„Ehrlich gesagt, ist mir egal, wer ihr seid, oder was, oder für wie wichtig ihr euch haltet. Ich kann damit eh nichts anfangen. Ich bin ein Käfer und meine einzige Aufgabe ist es, glücklich zu sein.“
Glücklichsein? Was ist das denn? Fragten die Gefühle. Also ich kenne Liebe und Hass und alles dazwischen, aber Glücklichsein? Da mischte sich das Bewusstsein ein und belehrte die Gefühle, dass Glücklichsein nichts anderes ist, als bewusstes Fühlen. Das Bewusstsein sei das Entscheidende! Der Hass korrigierte, dass man sich aber auch des Nichtglücklichseins bewusst sein muss, um glücklich zu sein und da habe er, der Hass, viel Erfahrung mit!
Gerade wollte sich das Unbewusste zu Wort melden, da riefen die Gefühle: Na klar! Wir müssen uns zusammentun, dann kommt am Ende Glücklichsein bei raus! Man schaute sich zunächst mißtrauisch an, stellte dann aber fest, dass das jeweilige Gegenüber gar nicht so übel sei, wie immer angenommen und man fiel sich in die Arme. Die Gefühle umarmten das Bewusstsein, das Bewusstsein den Hass, der Hass die Liebe. Und das Unbewusste? Es brüllte so laut, wie es noch nie gebrüllt hatte: ICH BIN AUCH NOCH DA!
Alle waren erstaunt, wo das Unbewusste auf einmal herkam, aber es gehörte eindeutig dazu. Dieses Temperament, das kam ihnen bekannt vor! Sie zogen das Unbewusste zu sich rüber und alle tanzten vor Freude, wieder Eins zu sein.
Da wachte das Sein aus seiner Depression auf und lächelte. Es war glücklich. Glücklich, nichts als bedingungslose Liebe zu sein und glücklich, dass alles nur ein böser Traum war.