Gastbeitrag von Anna Elend-Klein
Hallo, ich heiße Anna Elend-Klein, kurz Anna. Ich bin ein Ponyhof-Kind.
Nein, ich bin nicht auf einem Ponyhof aufgewachsen, oder besitze gar ein eigenes Pony, obwohl ich mir das so sehr gewünscht hatte. Ich bin ein Ponyhof-Kind, weil meine Mama das immer sagt, weil ich als Kind jedes Wochenende mit ihr auf dem Ponyhof war. Wenn ich nicht mit meiner Mama auf dem Ponyhof war, dann in Legoland, auf Karls Erdbeerhof oder im Heidepark, ständig gab es was zu erleben. Und wenn es nichts zu erleben gab, dann gab es wenigstens ein etxra großes Eis.
Ich wusste schon damals, dass es Kinder auf der Welt gibt, die den Heidepark nicht kennen und auch nicht wissen, wie ein Pony aussieht, oder wie Eis schmeckt, weil ihre Eltern keinen Kühlschrank besitzen. Aber meine Mama sagte immer, dass nunmal nicht jedes Kind ein Ponyhof-Kind sein kann – und Mama kennt die Welt! Sie fliegt regelmässig nach Ibiza und war auch schon in Dänemark. Fast auch auf den Kapverden!
Mit 10 stellte man fest, dass ich sonderbegabt bin. Der dritte Test brachte es schließlich zutage. Ich konnte innerhalb von 10 Sekunden ein Shetlandpony von einem Connemara-Pony unterscheiden und das, obwohl sie beide die gleiche Farbe hatten! Ich wechselte noch in derselben Woche in ein Internat für Sonderbegabte, aber weil das sehr teuer war, konnten Mama und ich uns dann nicht mehr so oft sehen, weil sie mehr arbeiten musste. Aber wenigstens hatten wir uns an den Wochenenden. Leider nicht an jedem, weil es auch Wochenenden gab, wo mein Vater mich sehen wollte. Der war der totale Versager! DJ, glaube ich, war er!? Heute reist er um die ganze Welt und hat eine 20 Jahre jüngere Freundin. Versager eben.
Während meine weniger begabten Mitschülerinnen an den Wochenenden heimlich Drogen nahmen, oder ersten Sex mit den 12. Klässlern hatten, war ich bei meiner Mama. Wir besuchten, wie in früheren Zeiten, den Ponyhof und wie damals durfte ich bei Mama im Bett schlafen. Einmal durfte ich das nicht, weil ich krank geworden war. Eine meiner Klassenkameradinnen hatte mich angesteckt und so bekam ich Husten. Da Mama Ärztin ist, hat sie mir sofort Antibiotika gegeben und mich vorsorglich gegen alle Kinderkrankheiten impfen lassen, die ich noch nicht hatte. Und das waren alle.
Dann wurde ich leider richtig krank. Mama sagte, dass das normal sei, nach Impfungen, dass sei eine natürliche Reaktion des Immunsystems. Leider blieb es nicht dabei. Ich bekam auch Neurodermitis und so starke Konzentrationsstörungen, dass ich das Internat verlassen musste. Aber ich fand’s eh blöd dort, mit all den weniger begabten Sonderbegabten.
Meine Mama sagte, dass auch das normal sei. Sonderbegabte hätten oft Konzentrationsstörungen, weil sie nicht genug Gehirnzellen für ihre aussergewöhnliche Intelligenz besäßen. Das kleinkindliche Hirn wusste sozusagen nichts von der späteren Hochbegabung und hat zu wenig Neuronen gebildet, oder so. Sie setzte sich dann in einem Verein für Hochbegabte dafür ein, dass bereits Föten auf Sonderbegabtheit getestet werden, um unmittelbar ab der Geburt ihr Hirn optimal trainieren zu können.
Ausserdem sagte sie mir, dass ich sehr wahrscheinlich hochsensibel sei, es spräche alles dafür. Ich fragte, was das ist und sie erklärte mir, dass hochsensible Kinder viel mehr wahrnehmen würden, als normale Kinder und dass daher wahrscheinlich auch meine Neurodermitis käme, weil meine Haut ebenfalls hochsensibel sei. Ich glaubte ihr, wie ich ihr immer alles glaube. Sagte ich schon, dass sie Ärztin ist? Also, Tierärztin. Deswegen waren wir auch so oft auf dem Ponyhof.
Dann bekam ich meine erste Periode. Ich schrie das ganze Haus zusammen, also, das halbe genau genommen, das, in dem ich und meine Mama lebten. Ich war mir sicher, ich würde verbluten, es gab sogar einen großen, ekeligen Fleck! Meine Mama beruhigte mich und gab mir Tabletten. Sie erklärte mir, dass das normal sei und dass ich mir da keine Sorgen machen müsse. Ausserdem würde ich in einem Jahr 13 und dann würde sie mir die Pille verschreiben und dann hätte ich das nicht mehr. So war es auch, ich bekam nie wieder meine Periode. Meine Mama gab mir anschließend einen Kuss auf die Wange und fragte „wie macht das Pony?“ Ich wieherte, wie ein Pony und wir umarmten uns.
Doch das war noch nicht meine ganze Geschichte! Mit 17 ging meine Mutter, die inzwischen Esoterikerin und Impfgegnerin geworden war, zu einem Medium. Die Frau war nicht nur hochsensibel, wie ich, sondern obendrein ein arcturianischer Starseed mit kristallinem Indigo-Karma! Diese auf Youtube sehr erfolgreiche Mittvierzigerin stellte fest, dass auch ich ein Kristallkind bin, mit 20% Indigo und 10% Starseed Anteilen! Ich wusste damals noch nicht, was das ist, aber heute weiß ich, dass das so die krasseste Kombi ist, die man haben kann, dagegen ist sonderbegabt Kinkerlitz. Das Medium klärte mich auch auf, dass Sonderbegabte meist reptiloide DNA hätten und ich froh sein könne, dass ich das nicht mehr bin.
Ich postete das sofort auf Instagram und hatte im nu über 15.000 neue Follower, während meine Freunde mir alle die Freundschaft kündigten. Ich nehme mal an, dass sie neidisch waren, wie sie ja schon damals neidisch waren, als ich auf dieses superteure Internat durfte und sie nicht, weil es bei ihnen nunmal nicht reichte. Auch finanziell. Heute hab ich einen eigenen Youtube- und Instragram Kanal. Mein Ziel ist es, die erfolgreichste Influencerin Deutschlands zu werden! Dann kann ich allen von meinen Erfahrungen berichten und dafür sorgen, dass jedes Kind auf der Welt die Chance bekommt, ein Pony zu streicheln.
Da ich keinen Freund habe und damit genug Zeit, mich um die wichtigen Dinge des Lebens zu kümmern, hatte ich vor drei Monaten beschlossen, in die Politik zu gehen. Nächstes Jahr werde ich 25 und für die Grünen kandidieren. Die Chancen stehen gut. Es gibt bereits einige Starseeds bei den Grünen, aber noch keines mit kristallinem Indigo-Anteil. Ich bin top motiviert und will Deutschlands jüngste Öku-Influencerin werden. Hab auch schon einen knackigen Namen dafür: Öflu! Ich wäre dann der erste Indigo-Kristall im deutschen Bundestag und ich weiß jetzt schon, was ich alles verbieten werde.
So, jetzt muss ich los, meinen wöchentlichen Vitamin-D und Cholesterol-Spiegel checken lassen. Mama sagt, das sei wichtig ab 25. Ich vertraue ihr und fange ruhig schon mal etwas früher damit an. Als Ponyhof-Kind hat man Verantwortung. Nicht nur für sich, auch für die Welt.
Wiehihiher!!!
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