Wenn man als jemand, der für voll genommen werden will, von seinen Erfahrungen mit der Kundalini-Energie erzählt, dann kann man sicher sein, dass das mit dem Ernst-genommen-werden eine naive Wunschvorstellung ist – zumindest im von Ignoranz dominierten Abendland. Nur wenige wissen hier mit dem Begriff „Kundalini“ etwas anzufangen und wiederum 50% derer, die meinen, damit etwas anfangen zu können, haben ihre Kenntnisse lediglich aus dem Wikipedia oder schlimmstenfalls dem Denunziantenportal Psiram und tun das Ganze daher als esoterischen Unsinn ab. Tragisch, denn sie wissen nicht, was ihnen entgeht!
Ich werde hier nicht erklären, was die Kundalini im Detail ist, denn erstens wüßte ich gar nicht, wo ich anfangen soll (also in welchem Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung) und zum anderen müsste ich ständig dazusagen „ja, aber bei mir ist es anders“. Für die meisten Menschen, die von der Kundalini beschenkt werden, ist es eben kein Geschenk, sondern eine Heimsuchung. Sie leiden unter schweren psychischen und körperlichen Begleitumständen, die der ungewöhnliche Energiefluss bei ihnen hervorruft und verteufeln den Tag, wo sie die Energie durch Meditation, Yoga oder auch Drogen erweckt haben. Ich kann deren Leiden verstehen, denn wenn ich nicht wüsste, was es bei mir ist, ich mich nicht beim ersten zarten Auftreten ausgiebig erkundigt hätte, würde ich eine schwere körperliche und psychische Krankheit dahinter vermuten. Längst schon wäre ich damit zum Arzt gegangen, oder besser gesagt von einem ratlosen Mediziner zum nächsten, um dann schließlich in einer psychiatrischen Einrichtung zu landen. Die Symptome können beängstigend sein:
- Unwillkürliches Zucken von Körperteilen
- Spontanes Verdrehen der Augen in Schielstellung
- Herzrasen und Schwitz- oder Frostanfälle aus dem Nichts
- Energieschübe, als würde im Bruchteil einer Sekunde Kryptonit durch die Adern schießen
- Erstarrungs-Zustände, als wäre man gelähmt (Pseudoparalyse)
Mich erschreckt das alles nicht mehr. Ich nehme diese Randerscheinungen, sofern sie bei mir überhaupt noch auftreten, hin und konzentriere mich auf das Wesentliche. Das Verschmelzen beider Energien, der inneren, repräsentiert durch die Kundalini, und der äußeren, repräsentiert durch die alles durchflutende Gottesenergie, aus der alles ist, was ist (das universelle, kollektive Bewusstsein).
Nacht vom 07.10.2018 auf den 08.10.2018:
Ich wache um 4:10 Uhr auf, weil mein ganzer Körper vibriert. Nichts ungewöhnliches, oft wache ich aus Träumen so auf. Wie mikroskopische Eruptionen, gepaart mit feinen, nicht schmerzenden Stromstößen, welche jede Zelle des Körpers erfassen, liege ich da und summe innerlich, einem Bienenstock gleich. An Schlaf ist nicht zu denken. Kundalini und Schlafen? Beides zusammen geht nicht, die Lady verlangt die volle Aufmerksamkeit.
Also stehe ich auf, begebe mich ins Wohnzimmer und setze mich auf meinen Meditations-Sitzsack. Das Licht lasse ich aus, lediglich drei Kerzen zünde ich an. Ich sitze da und wartete. Ich muss nicht lange warten, da kommt es richtig dicke. Ich sitze vielleicht fünf Minuten in gerader Haltung, die Handflächen nach oben gerichtet und auf den Schenkeln ruhend, als eine Fontäne von Energie meinen Körper erfüllt. Sie kommt aus dem Nichts. Nicht aus dem Root-Chakra, wo sie, der spirituellen Lehre nach, als zusammengerollte Energie darauf lauert, freigelassen zu werden, sondern sie ist unmittelbar da – im ganzen Körper, von den Fußzehen bis hoch zum Scheitel. Mein Körper richtet sich noch gerader auf, als er es eh schon ist und ich werde zu einer elektrischen, vibrierenden Säule. Gleichzeitig hellt mein inneres Sichtfeld auf. Ich schaue in einen unendlich wirkenden, rot-violett schimmernden Raum und spüre, wie die Energie dieses Raumes und ich Eins werden. Ich genieße diesen Zustand und denke an nichts, was mir allerdings auch nicht schwer fällt, da mit diesen Energieschüben immer eine komplette Gedankenstille eintritt, bei gleichzeitig allerhöchster Gewahrsamkeit. Ich bin mir jetzt jeder meiner Körperzellen bewusst, so bewusst, dass ich sie durchnummerieren oder ihnen Namen gebe könnte.
Nach einer Weile bekomme ich Lust auf Musik. Mir ist nach Psycho-Trance und so schalte ich meinen Rechner an und lade eine entsprechende Playlist. Die Energie ist nach wie vor stark präsent und ich wippe zunächst nur auf dem Sofa hin- und her, bis ich irgendwann aufstehe, mit der JBL in der einen Hand, und im Zimmer tanze. Die Lautsprecherbox bewege ich beim Tanzen von links nach rechts und von oben nach unten. Dadurch entstehen einfache akustische Effekte, welche die Wirkung der Musik verstärken und obendrein muss ich, mit der Box nahe an meinen Ohren, nachts um fünf nicht so laut stellen.
Dann setze ich mich wieder hin und vaporisierte eine Füllung schwachen Marihuanas. Schwach deshalb, weil es sich lediglich um vertrocknete Blätter handelt, die mir ein Freund überlassen hat. Seine Pflanze hatte sie während des heißen Sommers abgeworfen. Ich spekuliere auf eine besänftigende Wirkung. Es dauert nicht lange und mein Körper schaltet von freudig erregt und zum Tanzen aufgelegt, auf Hinsetzten und völlige innere Stille um, wobei ich die Musik intensiver empfinde, als zuvor. Ich nehme wieder meine aufrechte Sitzposition ein und erstarre im selben Moment zu einer Säule. Es ist göttlich. Angeregt durchs Tanzen muss mein Energiekörper um ein Vielfaches gewachsen sein und ich habe jetzt das Gefühl, mit dem kompletten Universum verbunden zu sein. Die Optik ändert sich. Ich sehe mit geschlossenen Augen in einen Tunnel, durch den ich mich mit rasendem Tempo bewege. Gleichzeitig hält sich die Kundalini-Energie auf sehr hohem Level, auch ein Pfeifton gesellt sich dazu. Es ist alles nicht bedrohlich und von großem inneren Frieden begleitet. Ich erreiche nach einer rasanten Fahrt eine visionäre Landschaft voller Grün, wunderschönen gelben Blumen und glasklarem Wasser, welches über braune Schieferplatten fließt. Mein Bewusstsein fliegt weiter durch diese Landschaft, deren Formen und Farben sich ständig ändern. Am Ende stoppt die innere Reise und ich sehe auf ein abstraktes, rot-gelbes Gebilde, dass wie surrealistische Kunst auf mich wirkt. Ich öffne die Augen, atme tief durch, beruhige mich wieder, füttere die Katzen und setze mich wieder hin.
Die Musik ist inzwischen Teil meiner selbst geworden und kaum zurück auf dem Sofa, zuckt es wieder in den Knochen und ich folge mit allen mir zur Verfügung stehenden Gliedmaßen dem Trance-Beat. Als ich meine Hände an meinen Schläfen vorbei bewege, sehe ich sie – mit geschlossenen Augen. Es sind dunkelrote Hände, die von einer leuchtend-gelben Korona umgeben sind. Aus den Fingerspitzen züngeln feine, weiße Flammen. Jede Bewegung hinterlässt ein schwaches Nachbild und so kann ich Leuchtkörper vor meinen geschlossenen Augen entstehen lassen, indem ich die Nachbilder sich aufsummieren lasse. Wieder verfalle ich in eine Trance. Diesmal gebe ich dem Drang still zu sitzen nicht nach, sondern führe weiterhin meine rhythmische Händeakrobatik durch. Es fühlt sich an, als würde ich mit dem Universum tanzen, mit Gott, oder wem auch immer. Ich bin pure Energie und alles um mich herum ist es auch.
Ich stehe schließlich auf und gebe dem Ruf nach Bewegungslosigkeit nach. Ich stelle mich in die Mitte des Zimmers und halte meine gespreizten Hände in Richtung des Bodens. Wieder werde ich Eins mit meiner Umgebung, diesmal mit dem Boden unter mir. Ich nehme ein aufsteigendes Pulsieren wahr. Dann entsteht bei geschlossenen Augen das Bild eines runden, dunklen Körpers, der im Rhythmus des Pulses atmet. Die Erde atmet, denke ich spontan. Es ist etwas Lebendiges, dass sich mir hier präsentiert – ob es die Erde ist, bleibt der Fantasie überlassen, vielleicht ist es auch nur eine bedeutungslose Vision.
Am Ende ist es nicht wichtig. Für mich ist in solchen Momenten entscheidend, dass ich Verbindung mit der universellen, schöpferischen Energie aufnehme. Sie ist wohltuend und heilend. In dieser Nacht habe ich drei Musikideen zu Papier gebracht, bzw. auf die SD-Karte gesummt. Dieses Gefühl der Verbundenheit mit dem höheren Selbst, mit der eigenen Seele, welche in jenen energetischen Dimensionen verweilt, zu denen wir nur in eben solchen Momenten Zugang haben (also in jeder Form der Trance), ist etwas, was man nur unzulänglich beschreiben kann. Es ist völliger innerer Friede, gepaart mit dem Gefühl zu Hause zu sein, an seinem Ursprungsort, und gleichzeitiger Dankbarkeit für das irdische Leben, welches das größte Geschenk ist, das man erhalten kann.
Die Nacht endet damit, dass ich die Hände unter fließend Wasser halte, um mich zu erden. Dann lege ich mich hin und falle in einen traumreichen Schlaf.